
Man ist Gast in einer Millionenstadt am Schwarzen Meer, um eine Fotografenkollegin zu besuchen, und im (unterirdischen) Hotelzimmer merkt man nicht einmal, dass in der Nacht ein dreihundert Meter weiter eine Rakete einschlägt und einen Teil des Hafens zerstört. Man redet Russisch wie die meisten im von der großen (Imperialistin) Katharina 1794 gegründeten Odessa – und ist Kantor an der von einer russischen Bombe getroffenen Verklärungskathedrale. Ein Einblick in die ukrainische Wirklichkeit jenseits des Clinches war am Sonntagabend, 9. März, im Altacher Pfarrzentrum möglich – und ist es weiterhin dank der Ausstellung aus dem „Ukrainischen Fototagebuch“ bis nach Ostern.
Bereits zum dritten Mal gastierte Oda a Cappella Ukraina auf Einladung der Altacher Soireen in Vorarlberg, diesmal neu aufgestellt als Trio. Die jungen Sopranistinnen Anastasia Andrianowa und Anna Konowal und der Kirchenmusiker Wowa (Wolodymir) Szaustian aus Odessa sangen eine Vesper und Lieder aus der Johannes-Chrysostomus-Liturgie – ausschließlich a capella, etwas Anderes als die Stimme des Menschen wird bei einem orthodoxen Gottesdienst als unpassend empfunden. Eine ergreifende Aktualisierung und Erinnerung an das Prophetenwort: „Nicht durch Kraft und nicht mit Heeresmacht, sondern durch meinen Geist“ (Sacharja 4,6) am Abend des ersten Sonntags der Fastenzeit, unterstrichen durch Gebete von Dag Hammerskjöld, dem ersten UNO-Generalsekretär, umgebracht seinerzeit im Kongo, und Bischof Elbs.
Wie die Ukraine, Opfer eines eigentlich weit überlegenen totalitären Imperiums, am Geist der Menschlichkeit festhält, belegt die Ausstellung „Die Uhr des Krieges“ im Foyer des Pfarrzentrums. Der Schweizer Fotograf Patrick Lüthy hat das „ukrainische Fototagebuch“ initiiert, ein offenes Archiv, an dem sich Berufs- und Laien-Fotografen aus der Ukraine beteiligen, um den Alltag inmitten gezielter Zerstörung ungeschminkt zu dokumentieren. Nur wenige Bilder von der Front, von Kanonen und Schützengräben sind zu sehen, dafür schlägt eine Stunde den Tieren, die mit den Menschen flüchten, verwundet werden, Hinterbliebene sind auch sie. Odessa sei eine Stadt stolzer Katzen, erzählt Lüthy bei der Eröffnung, und deren Überlebenskraft und Treue wird geradezu zum Symbol für die Ukraine. Auch Kinder und die Schulen – nun mit Schutzräumen ausgestattet – nehmen Raum ein in der Ausstellung. Sie spürt den Verlusten nach – an Menschen, Boden, wo Minen drohen, Stränden, an Arbeitsplätzen, an Beheimatung – und dem ukrainischen Trotzdem.
Bei der Eröffnung der Dokumentation am 9. März vor der Vesper sangen die drei UkrainerInnen auf Europa-Tournee Liebes- und Kosakenlieder. Das Echo war trotz Funken- und Fußballsonntag erstaunlich und schlug sich auch in entsprechenden Spenden nieder. Das "Ukrainische Kriegstagebuch“ bleibt bis nach Ostern in Altach.
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